Letzte Aktualisierung: 01.11.2012

Einkommensarmut: Quote der Sozialleistungsbezieher

Erfasst werden hier alle Bezieher und Bezieherinnen von staatlichen Sozialleistungen, in Prozent der Bevölkerung.

Zielbezug:

Niedrige Einkommen und Armut stehen bei den betroffenen Menschen einer Befriedigung selbst wichtigster Grundbedürfnisse wie Wohnen und gesunder Ernährung entgegen (und drängen zudem ökologische Aspekte bei ihren täglichen Entscheidungen zurück).
Die Quote an SozialleistungsbezieherInnen benennt – unangreifbar – die Gruppe, die am untersten Ende der (lokalen) Einkommenspyramide rangiert und unter Armutsverhältnissen leben muss. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass der offizielle Armutsbegriff noch von weit höheren Grenzen ausgeht als die Regelsätze, die den Menschen nach SGB II, SGB XII oder Asylbewerberleistungsgesetz zugestanden werden.


Zielwert:

Offizielle Zielvorgaben der Stadt Dortmund oder anderer Einrichtungen liegen nicht vor.
Die Quote sollte nach Auffassung des für diese Seite verantwortlichen Instituts Akoplan  mittel­fristig unter einen Wert von 5 Prozent gedrückt werden - allerdings ohne die Anwendung sachfremder Methoden wie behördlicher Willkür,  individueller Schikane, Einschüchterung/
Beschämung von Antragsstellenden oder der Knüpfung von Bewilligungen an sachfremde Bedingungen (wie z.B. individuelle Vorleistungen oder allgemeines Wohlverhalten)1. Der Zielwert von 5 Prozent mag gerade angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise als ambitioniert erscheinen, ist aber auf mittlere Sicht machbar.
Eine Alternative wäre die - von verschiedenen Seiten geforderte - Einführung eines armutsfesten „bedingungslosen Grundeinkommens“ oder auch „Bürgergelds“.

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1 Die derzeitige Praxis vieler JobCenter bietet genügend Anlass für eine solche einschränkende Bemerkung.Nach wie vor drängt die Bundesregierung über die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf eine Senkung der Arbeitslosenzahl wie auch der Ausgaben für passive Leistungen, so dass sich immer mehr Vermittler auf Methoden der Einschüchterung und der Sperrung von Leistungen für den Lebensunterhalt verlegt haben.

Allein im Jahr 2011 wurden bundesweit über 910.000 Sanktionen gegen Empfänger von Leistungen nach SGB II verhängt, bei einer Grundgesamtheit von 6,4 Mio. Personen (Jahresdurchschnitt 2011, Summe Empfänger von Alg II und Sozialgeld). Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, 59. Jahrgang, Sondernummer 2 Vgl. auch den Offenen Brief des Hauptpersonalrats an den Vorstandsvorsitzenden der BA, Herrn Weise, vom 5.6.2009, im Internet nachzulesen unter
http://agora.free.de/sofodo/themen/erwerbslosigkeit/Ist-BA-noch-steuerf-hig_2009_06_05.opd-1.pdf


Wechselwirkungen/Zielkonflikte:

Wechselwirkungen insbesondere hinsichtlich Obdachlosigkeit, Schulabschlüsse, Klima- und Ressourcenschutz/Energienutzung, Übergewichtigkeit, PKW-Dichte, Fahrradverkehr; auch: Zahl der Festabonnenten der öffentlichen Verkehrsbetriebe (in den Fällen, wo für Einkommensschwache ein spezielles Angebot in Form von Sozialtickets eingeführt wurde, allerdings weniger ausgeprägt).


Vergleichsstädte:

Bremen wurde als Vergleichsstadt herangezogen, weil sie von Größenordnung und Struktur her mit Dortmund recht gut vergleichbar ist. Des weiteren herangezogen: die - wesentlich kleinere Stadt - Münster in Westfalen, als Beispiel für eine Stadt, die nicht – oder zumindest nicht nennenswert – mit den Strukturproblemen einer altindustriellen Region zu kämpfen hat.
Die (Wohn-) Bevölkerung der Stadt Bremen betrug Ende 2011 548.319 Einwohner, die Münsters 291.754 Einwohner, also etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung Dortmunds.


Definition Messgrößen:

Einbezogen werden die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Alg II) bzw. Sozialgeld nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II), die Empfänger von Leistungen der Grundsicherung oder von laufender Hilfe zum LU/Sozialhilfe nach SGB XII sowie die Empfänger von laufenden Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz. Die Summe wird ins Verhältnis zur Wohnbevölkerung gesetzt (Prozent). Stand jeweils der 31.12. des Jahres.


Datenquellen:

a. zu Dortmund
Einwohnerzahlen (Wohnbevölkerung) nach: Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Dortmund, aktuelle Schnellübersicht 'Bevölkerung nach Geschlecht und Altersgruppen' (August 2012) im Dortmunder Stadtportal dortmund.de
Empfänger von laufenden Leistungen nach SGB XII und AsylbLG nach Auskunft des Dortmunder Sozialamts (auf Anfrage)
Empfänger von Alg II bzw. Sozialgeld nach: Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Dortmund, aktuelle Schnellübersicht 'Bedarfsgemeinschaften und Leistungsempfänger nach SGB II am 31.12.' im Dortmunder Stadtportal dortmund.de (August 2012); originäre Datenquelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

b. zur Vergleichsstadt
Münster Einwohnerzahlen Münster (Bevölkerung am Ort der Hauptwohnung) aus: Stadt Münster, 'Jahresstatistik 2011 – Bevölkerung', S. 10
Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (ab 2006) sowie Empfänger von lfd. Hilfe zum Lebensunterhalt/Sozialhilfe nach: Regionaldatenbank des Statist. Bundesamts bzw. Landesdatenbank NRW (September 2012)
Leistungsempfänger nach SGB XII im Jahr 2005 nach: Geschäftsbericht des Sozialamts der Stadt Münster 2008. Diese Zahl ist nicht ganz vollständig; es fehlen die Leistungsempfänger, deren Unterstützung von überörtlichen Trägern getragen wurde (Zahl deshalb kursiv).
Daten EmpfängerInnen von Leistungen nach AsylbLG aus: Geschäftsberichte des Sozialamts der Stadt Münster 2008 und 2011
Daten EmpfängerInnen von Leistungen nach SGB II nach: Stadt Münster, 'Jahresstatistik 2011 - Soziales', S. 7; originäre Datenquelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

c. zur Vergleichsstadt Bremen
Einwohnerzahlen Stadt Bremen aus: Regionaldatenbank des Statist. Bundesamts (August 2012); Zahl für 2011 aus: Statistischer Bericht 'Bevölkerungsstand und -bewegung im Januar 2012', hrsg. vom Statist. Landesamt Bremen
Empfänger von lfd. Hilfe zum Lebensunterhalt/Sozialhilfe (bis 2010) sowie Empfänger von Grundsicherung im Alter u. bei Erwerbsminderung (ab 2008, bis 2010) nach: Regionaldatenbank des Statist. Bundesamts (Abfrage August 2012). Die Angabe für 2011 hat nur vorläufigen Charakter. Herkunft: elektronische Abfrage beim Bremen Infosystem am 23.8.2012 Empfänger von Regelleistungen nach AsylbLG aus: Statistische Jahrbücher 2002 bis 2011, hrsg. v. Statistischen Landesamt Bremen. Auch hier hat die Angabe für 2011 nur vorläufigen Charakter (elektronische Abfrage beim Bremen Infosystem am 23.8.2012)
Empfänger von Alg II und Sozialgeld nach SGB II nach: Statische Jahrbücher des Statist. Landesamts Bremen; Angabe für 2011 laut elektron. Abfrage beim Bremen Infosystem am 23.8.2012; originäre Datenquelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit


Stichtag und Erhebungsintervalle:

Stichtag ist jeweils der 31.12. d. Jahres. Die Quote ist 1x jährlich zu ermitteln, wegen der Zugäng­lichkeit der Daten etwa gegen Mitte des Folgejahres.


Bemerkungen:

Wie schon aus der Quellendarstellung ersichtlich, ist die Datenlage hinsichtlich der Sozialleistungs­bezieher unterschiedlich gut. Manche Städte veröffentlichen, etwa im Kontext mit dem Agenda-Prozess, umfangreiches Datenmaterial dazu, in anderen Städten, etwa Dortmund oder auch Bremen, werden solche Daten nicht oder nur in Teilen veröffentlicht. Punktuelle Aufnahmen (wie der 'Bericht zur sozialen Lage in Dortmund' von 2007) oder Datenaggregationen auf Landesebene (wie in der ansonsten ebenfalls sehr löblichen Darstellung „Lebenslagen in Bremen – Armuts- und Reichtumsbericht für das Land Bremen 2009“ - Entwurf v. März 2009) helfen für unsere Zwecke nicht weiter. Siehe auch die Hinweise am Fuß der nachfolgenden Tabellen.
Eine Vergleichbarkeit mit früheren Daten (vor 2005) ist ausgeschlossen, da mit dem Inkrafttreten der Sozialgesetze SGB II und SGB XII große Teile des Sozialleistungssystems auf eine völlig neue Grundlage gestellt wurden. Mit diesen Gesetzen verschwanden die frühere Sozialhilfe nach BSHG wie auch die Arbeitslosenhilfe nach SGB III als vormals eigenständige Leistungen, mit anderen Anspruchsvoraussetzungen und Bemessungsgrundlagen. Insbesondere die Einbeziehung aller Arbeitslosen ohne Anspruch auf die Versicherungsleistung Alg I (überwiegend Langzeitarbeitslose) in den Rechtskreis des SGB II  führte zum 1.1.2005 zu einer explosionsartigen Ausdehnung des staatlichen Sozialleistungssystems. Aus den genannten Gründen beginnen die dargestellten Daten ganz bewusst erst mit dem Jahr 2005.
Nicht unerwähnt bleiben soll mit Blick auf die hier dargestellten Daten, dass es in Deutschland eine nicht unerhebliche Dunkelziffer gibt von Menschen, die zwar anspruchsberechtigt wären, aus diversen Gründen aber nicht in den offiziellen Statistiken erscheinen.


Beschreibung und Interpretation:

Wegen der teilweise unvollständigen Datenlage ist ein echter Vergleich mit Münster erst ab dem Jahr 2006 möglich (bei Bremen ab 2007). Danach ist zumindest erkennbar, dass sich die Armutsprobleme in den beiden Großstädten auf etwa gleichem Niveau bewegen und mit rund 16 % vom o.g. Zielwert weit entfernt sind.
Bei Münster hingegen stellt sich die Situation mit Werten zwischen 8,6 und 9,3 Prozent wesentlich günstiger dar als in den vorgenannten Städten; der Abstand zu Dortmund bewegt sich in dieser Zeitspanne durchweg zwischen sieben und siebenundhalb Prozentpunkten. Hierfür kann neben den ganz anderen Wirtschafts- und Bevölkerungsstrukturen und der vergleichsweise niedrigen Arbeitslosigkeit2 u.U. auch die – für eher ländliche Gegenden typische – größere innere Distanz zu staatlichen Sozialleistungen (Autonomiebedürfnis) eine Rolle spielen.
In allen 3 Städten ist über die letzten Jahre eine stete Zunahme der Zahl der Grundsicherungsempfänger nach Kap.4 SGB XII zu beobachten, was mit der gegenwärtig viel diskutierten zunehmenden Altersarmut zu tun haben könnte.
Seit vergangenem Jahr nimmt auch die Zahl der Asylbewerber im Leistungsbezug wieder zu.
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2 Die offizielle Arbeitslosenquote Münsters betrug 2011 5,8 Prozent und lag damit sogar deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (7,1 %). Dortmund hatte im gleichen Jahr eine Quote von 12,7 %.


Handlungsbedarf zur Zielerreichung:

Gewerkschaften, Sozialverbände und auch namhafte Wissenschaftler fordern seit Jahren, bisher allerdings erfolglos, dass der seit Beginn des Jahrzehnts betriebenen Liberalisierung des Arbeits­marktes Einhalt geboten, klare Schranken gegen Lohndumping und eine weitere Prekarisierung von Arbeit eingezogen werden, um eine weitere Ausdehnung von Armut zu vermeiden. Hierzu gehören aus Sicht von Akoplan nicht zuletzt auch Maßnahmen gegen eine Verarmung bei Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, bei Nachwuchs (insbes. Alleinerziehende) und im Alter.
Ansatzpunkte dafür liegen zunächst in der Einführung eines armutsfesten gesetzlichen Mindest­lohns, der gesetzlichen Eindämmung von Formen prekärer Arbeit, einer deutlichen Anhebung der Regelsätze in den Sozialleistungssystemen sowie Reformen beim Kindergeld und Wohngeld; im weiteren Sinne in der steuerlichen Entlastung von niedrigen bis mittleren Einkommen, einer – als Ausgleich – stärkeren Besteuerung höherer Einkommen sowie einer Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage (z.B. um Einkünfte aus Finanzmarktspekulationen);  auch: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in den gesetzlichen Sozialversicherungen und Anhebung der Bemessungs­obergrenzen.
Auf kommunaler Ebene: Nutzung der verbliebenen kommunalen Handlungsspielräume, um die betroffenen Haushalte und Personengruppen zu entlasten (z.B. durch günstige Sozialtickets im ÖPNV, preiswertes Mittagessen für Kinder in Kitas und Ganztagsschulen, ausreichende Zahl von Kita- und Krippenplätzen) und ihre Teilnahme am Arbeitsleben, aber auch am sozialen, kulturellen, sportlichen und politischen Leben in der Stadt zu erleichtern.
Weitere Ansatzpunkte: Bindung kommunaler Auftragsvergaben, des kommunalen Beschaffungs­wesens wie auch von Fremdvergaben kommunaler Arbeiten an umwelt- und beschäftigungspoli­tische Vorgaben. Einhaltung der von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO vorgegebenen Mindeststandards.
Die Möglichkeiten der Kommunen (samt ihrer Betriebe) sind jedoch diesbezüglich sehr begrenzt. Ohne eine grundlegende Korrektur der allgemeinen Arbeitsmarktpolitik mit den oben beschriebenen Maßnahmen ist eine Eindämmung der privaten Armut und eine gerechtere Einkommensverteilung, mithin auch die gewünschte drastische Senkung der Quote an Sozialleistungsbeziehern, auch auf mittlere Sicht nicht zu erreichen.


bearbeitet von:

AKOPLAN – Institut für soziale und ökologische Planung e.V., Dortmund;
Dipl.-Ing. Heiko Holtgrave
mailto: info@akoplan.de,
Stand: 11. September 2012

 


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